Techniken

Die 70 Videos aus den letzten beiden Embukai der Nihon Kobudo Kai [ 2023/1] [2023/2] [2024/1]  [2024/2 ] geben einen Einblick in die Vielzahl der traditionellen japanischen Kampfkunstschulen und ihre Techniken. 1868, am Ende der Tokugawa-Zeit, gab es eine offizielle Liste mit über 52 Schulen fürs Bogenschiessen, 718 Schulen für den Schwertkampf, 148 Schulen für den Speerkampf und 179 Jujutsu-Schulen. Dabei sind allerdings die Gruppen mitgezählt, deren Stil gleich war, die aber einen anderen Zweig (d.h. Ha bzw. Ryu) darstellten.
Für Aikidoka sind eher jene Ryu interessant, welche Techniken zeigen, die in ähnlicher Form im Aikido geübt werden. Manche Aikidolehrer entlehnen auch heute noch Techniken aus den Koryu, um sie in ihr Aikido zu integrieren.

Ueshiba Morihei

In der langen Entwicklung vom Daito-Ryu-Aikijujutsu zum Aikido unterrichtete Morihei Ueshiba (1883-1969) zuerst viele Daito-Ryu-Techniken, wobei er deren Anzahl deutlich reduzierte. Sie dienten meist zur Selbstverteidigung, wenn er z.B. hohe Militärs oder Polizeikräfte schulte. Später als er Anhänger der Omotokyo geworden war, dienten sie eher zur Schulung von Geist und Körper. In seinen letzten Jahren meinte er allerdings, dass er gar keine Techniken ausführe, sondern spontan in den jeweiligen Situationen agiere.
Es gibt Berichte von einer Demonstration im Jahre 1942 in der Mandschurei, in welcher der Uke Hideo Ohba sich entschloss, respektlos realistisch anzugreifen. Bei Embukai zeigte Morihei Ueshiba normalerweise die Techniken nur in didaktischen Formen, um seine Philosphie zu erklären. In diesem Fall musste er aber wirklich effektiv agieren und gab so ein überzeugendes Beispiel seines Könnens ab.

Ueshiba Kisshomaru

Ueshiba Kisshomaru (1921-1999) übernahm 1942 die ehrenvolle Bürde der Leitung des Hombu Dojo in Tokyo und nach dem Tod seines Vaters auch die Stellung des Doshu der Aikikai. Er leitete den Unterricht im Hombu Dojo und systematisierte - zusammen mit Tohei - die Techniken und stellte einen Lehrplan sowie eine Prüfungsordnung zusammen.
Es gibt Berichte, dass Morihei Ueshiba manchmal ins Dojo kam. Dann hörten sofort alle Aikidoka mit dem Üben auf und setzten sich erwartungsvoll auf die Matte. Eines Tages bemerkten sie seine Anwesenheit nicht sofort und er konnte ihrem Treiben eine Weile zuschauen. Er soll entrüstet geäussert haben, dass dies gar kein Aikido sei, was sie dort auf der Matte praktizierten.
Manche sagen daher, dass das Aikido, welches heute praktiziert wird, gar nicht das Aikido von Morihei Ueshiba ist, sondern das seiner Nachfolger.

Tohei Koichi

Tohei Koichi (1920-2011) war Chefinstruktor im Hombu Dojo. Er reduzierte die Anzahl der Techniken und führte sie "weniger mechanisch" aus und möglichst ohne körperliche Kraft auszuüben. Das gelang ihm mit Hilfe seines Konzeptes von Ki und mit dediziertem Rhythmus. Er änderte auch viele Bezeichnungen der Techniken. Später stellte er seine eigene Prüfungsordnung zusammen.

Yoshigasaki Kenjiro

Yoshigasaki Kenjiro (1951-2021) unterrichtete zuerst die Techniken, wie sie Tohei geprägt hatte. Später entwickelte er theoretische Konzepte wie Linien und Formen. Zuletzt meinte er, dass er keinen eigenen Stil unterrichte, sondern lediglich die Techniken seiner Schüler anschaue und sie verbessere.
Techniken sind ihm zufolge vorgebene Abläufe, um in bestimmten Situation klar definierte Ergebnisse zu erzielen. Um diesen mechanischen Aspekt, den Techniken haben können, zu überwinden, betonte er zuletzt die einzelnen Akte im Ablauf des Geschehens.
Nach seinen Worten unterrichtete er die Aspekte der japanischen Kultur, die von allgemeinem Wert für alle Menschen sind.

Inhalt des Videos mit Yoshigasaki Sensei
Die Japaner wissen heutzutage nicht mehr, was japanische Kultur ist. Das ist das Problem!
Und dann ist da noch eine andere Frage. Warum müssen Italiener der japanischen Kultur folgen?
Genauer gesagt, unterrichte ich nicht allgemein die japanische Kultur, sondern die Kultur, die in Japan existierte und viele gute Dinge hervorgebracht hat. Jetzt kann diese Kultur auf der ganzen Welt angewendet werden.
Frage: Wie kann man eine Sache in allen unterschiedlichen Umgebungen anwenden? Dazu braucht es "Mathematik". Deshalb spreche ich über Mathematik. Wenn Sie in Japan leben und der japanischen Kultur folgen, brauchen Sie keine Mathematik. Wenn ich mein Leben lang das gleiche Produkt herstelle, brauche ich keine Mathematik. Aber wenn ich ein anderes Produkt herstelle, Abmessungen usw. ändere, dann ist Mathematik gefragt.

 

Fazit

Schon in Koryu Zeiten entstanden immer wieder neue Schulen, weil es oft nicht nur einen Schüler mit dem Menkyo Kaiden (Lehrbefugnis) gab. Auf diese Weise gab es eine technische Entwicklung und Diversifikationen. Die Techniken im Aikido stammen aus mehreren Quellen und Morihei Ueshiba durchlief auch eine technische und philosophische Entwicklung. Das sind nur zwei Gründe, warum es verschiedene Aikido"stile" gibt. Es gibt einen gewissen Kern an Techniken, die in allen Aikidostilen geübt werden und die heutzutage meist als Übungsformen zur Entwicklung von Geist und Körper oder zum Verständnis von weiteren Aspekten der japanischen Kultur dienen. Viele Dojocho und Shihan fügen Komponenten aus ihrem eigenen aktuellen Erfahrungsbereich hinzu. So ist das Aikido von Dojo zu Dojo oft ganz unterschiedlich. Ein Aikidoshi benötigt daher zuerst ein gewisses Vertrauen zum Sensei und wird später selbst herausfinden, was ihm/ihr beim Aikido wichtig ist und was er/sie lernen und praktizieren will, nicht nur in technischer Hinsicht.