Im Kapitel Kiri, Tsuki und Ate von "Aikido im wirklichen Leben" erklärt Yoshigasaki Sensei den Unterschied zwischen Schneiden und Schlagen.
Schneiden (Kiri, 切り) im Aikido soll im Gegensatz zum Schlagen weniger Schaden anrichten.
"Wenn Sie einen Stock oder ein Holzschwert verwenden, schneiden Sie zwar nicht wirklich, führen aber trotzdem eine Schneidebewegung aus, die einen anderen Effekt hat als ein Schlag."
Im Schlagen und Schneiden sieht er einen kulturellen Unterschied zwischen Europa und Japan.
Es ist richtig, dass in der Antike viele Steine behauen wurden (= Schlagen), um die Tempel und die öffentlichen Gebäude zu bauen. Das ist aber nur ein Teil der europäischen Zivilisationsheschichte. Die grosse Bevölkerungsgruppe der Bauern hat schon immer mit Schneidwerkzeugen gearbeitet. Das Getreide wurde mit der Sichel oder mit der Sense geschnitten, ebenso das Gras, um im Winter das Vieh mit Heu zu füttern. Das Getreide wurde später natürlich gedroschen, was wieder in den Bereich des Schlagens gehört.
Die Bauarbeiter in Europa haben allerdings die Steine nicht nur "geschlagen", womit wohl das Meisseln gemeint ist, sondern je nach Konsistenz auch gespalten, was wiederum dem Akt des unmittelbaren Ergebnisses, wie es dem Schneiden zugeschrieben wird, entspricht.
"Durch das Schlagen entsteht eine Logik des schrittweisen Voranschreitens und durch das Schneiden entsteht eine definitive einmalige Entscheidung, die ein unmittelbares Ergebnis erzeugt." schreibt Yoshigasaki Sensei.
Steine und Fachwerk
Bis zum Beginn der Industrialierung waren die meisten Häuser in Mitteleuropa Fachwerkhäuser. Holzbalken wurden geschnitten, gesägt, behauen und ausgestemmt.
Wenn die Fächer mit Steinen ausgefüllt wurden, waren diese meist unbehauen, d.h. sie hatten keine Schläge erlitten.
Im Zimmermannshandwerk entwickelte sich in Japan ein ausserordentlich hohes Niveau, schon allein weil die kunstvollen Tempel aus Holz regelmässig abgerissen und wieder aufgebaut werden mussten.
Es wird behauptet, dass das Schneiden mehr Geschicklichkeit und das Schlagen dagegen mehr Kraft erfordere. Für den Schwertkampf mag das zutreffen. Aber Bildhauer, die Skulpturen aus Stein meisseln, oder Dachdecker, die Nägel in Dachlatten einschlagen, optimieren ihre Bewegungen so geschickt, dass sie eben wenig Kraft benötigen.