Balerna Oktober 2008

5. Seminar mit Yoshigasaki Sensei

Frieden

Zum alljährlichen Herbsttreffen mit Doshu Kenjiro Yoshigasaki auf den Tatami von Balerna trafen sich zahlreiche „alte Freunde“ und viele „neue Freunde“ aus verschiedenen europäischen Ländern mit der Absicht, an einem Treffen teilzunehmen, das sich wie immer als von hohem philosophischen und technischen Niveau erwies. Unser Doshu überrascht uns jedes Mal und berührt uns zutiefst mit seiner Fähigkeit, in jedem von uns „Resonanzen“ zu erzeugen und/oder in unserem Bewusstsein sehr wichtige Werte zum Vorschein zu bringen, von denen einer vielleicht der wichtigste ist, der Frieden, ohne den unser Leben wirklich „arm“ wäre.
Doch das wahre Problem besteht oft darin, dass das menschliche Gemüt von den kleinen Dingen überwältigt wird, die die Existenz klein machen, von Egoismus, Tyrannei, Mangel an Liebe und so weiter, sodass wir, wenn wir „Tschüss, Frieden“ sagen, immer … arm bleiben! Man fragt sich, warum es so schwierig ist, Frieden zu schaffen.
Wenn also die Vermittlung des Friedenskonzepts, das Doshu bei den Seminare lehrt, tatsächlich nur minimalen Aufwand erfordert, um es auf die Techniken des Aikido anzuwenden, warum ist es dann so schwierig, etwas auszuführen, was eigentlich „so einfach“ wäre? Wahrscheinlich, weil unser Verstand immer noch aggressiv ist und ich erkenne, dass es notwendig ist, unseren inneren Widerstand zu überwinden und dass dies der richtige Weg ist, den man beschreiten muss, weil er einem Raum zum Atmen gibt!

Unterricht

Was hat uns der Doshu gelehrt?
Dass wir uns im Sinne des Friedens dafür entscheiden, nicht zu kämpfen. Manche meinen, das bedeute, dass „Aikido auf diese Weise nicht effektiv sei“. Nun, diese Menschen sollten ihren Frieden finden. Im Gegenteil: Das Wichtigste ist – und ich glaube, das empfinden viele andere auch – , dass ein „Gegner“ durch die Entscheidung, nicht zu kämpfen, „entwaffnet“ wird und nicht kämpfen kann: Philosophisch gesehen entspricht es den alten allgegenwärtigen Lehren der großen Meister des Lebens, die auf diesem Planeten erschienen sind.
Auf technischer Ebene wurde die Umsetzung des Konzepts am Freitagabend mit vielen Übungen in Kote Oroshi Irimi, Katatekosadori Kokyu Nage und Katatekosadori Kokyu Nage Tenkan anschaulich und effektiv vermittelt. Schon die mehrfach wiederholte Atemmeditation TO HO KA MI E MI TA ME mit den Händen und dem Bokken hinterlässt bei allen Aikidoka ein großes Gefühl von Wohlbefinden und Offenheit.
Bei denjenigen, die es von „außen“ verfolgten, also bei den Zuschauern, war die Emotion groß: Wahrscheinlich wurden auch ihre „inneren Saiten“ durch die Resonanz berührt, die diese kraftvolle Meditation erzeugt.

Freitagabend

Zum Abschluss des Freitagabends begaben sich etwa zwanzig Aikidoka ins Grotto del Mulino (im Parco delle Gole della Breggia), um eine ausgezeichnete Minestrone zu genießen, gefolgt von einer „Taiada“ aus lokalen Wurstwaren und den bekannten Käsesorten des Muggiotals: An gutem Wein von MoMo (d. h. aus den Weinbergen der Region Mendrisiotto) mangelte es nicht. Auch unser Doshu hat sich nicht zurückgehalten und alles mit gutem Appetit genossen!
Das freut einen immer sehr.

Unterricht

Unser Training ging am Samstagmorgen weiter: Es waren wirklich viele Aikidoka auf den Tatami. Doshu erläuterte das Konzept des Friedens noch einmal, erweiterte es und präzisierte, dass Aikido kein Kampf und keine „Kunst der Verteidigung" sei, sondern Situationen schaffe, in denen ein Kampf „nicht so leicht entstehen kann“.
Was also tun? Durch die Bewegung des Körpers muss die Form verändert werden! Es geht nicht darum, „Punkte“ des Körpers zu verschieben: Sie müssen tatsächlich die Form ändern. Verstanden? Es gibt viel zu tun!
Für diejenigen, die keine Künstler, Musiker, Schriftsteller usw. sind. Aikido ist eine hervorragende Kunst, um seine Philosophie durch den Körper auszudrücken. Und das ist okay.
Der Meister erwähnte auch die Notwendigkeit, das Bedürfnis aller nach „Raum und Freiheit“ zu respektieren. Nicht nur physischer Raum, sondern auch geistig-seelischer Raum und Freiheit, die nicht von Verantwortung getrennt ist. Es ist nutzlos, ja sogar kontraproduktiv und entspricht nicht dem Geist des Aikido, den Raum und die Freiheit der Menschen einzuschränken.
Dies sind Konzepte, die Doshu oft wieder aufgreift, vielleicht weil sie auf der Tatami und auch im täglichen Leben nicht ausreichend verinnerlicht und respektiert werden: Lasst uns darüber meditieren. Wichtig ist auch, darauf zu achten, nicht alles in gut und schlecht (+ und -) einzuteilen, denn es gibt auch Aspekte von „weniger gut bzw. weniger gut“ und „nicht schlecht“: Tja!

Pause

Zur Mittagspause trafen sich fast alle im nahegelegenen Ristorante Federale, um ein „typisch schweizerisches“ Menü zu genießen: St. Galler Bratwurst (DOC) und Rösti: Wir entschieden uns bewusst für „leichte Mahlzeit“, um am Nachmittag unsere Aktivitäten bestmöglich wieder aufnehmen zu können.

Kinder

Eine große Gruppe von Kindern aus der Aikido-Minischule, wie immer in Begleitung von Eltern, Großeltern und kleinen Brüdern und Schwestern, stürmte freudig auf die Tatami und brachte ein außergewöhnliches KI ins Dojo, während sie auf den Doshu warteten, dessen Anleitungen sie aufmerksam verfolgten.
Freunde aus anderen Dojos unterstützten die Lehrer unserer Kinder und wir waren sehr bewegt davon, dass Riccardo B. aus Valdarno sich zur Verfügung stellte, mit dem kleinen Kevin zu „arbeiten“. Dieser zeigte, dass er sich von dem fast 2 m grossen „Riesen“ überhaupt nicht einschüchtern ließ.

Training und Prüfungen

Das Training für Erwachsene wurde mit Übungen für Ushiro Ryokatadori und für die achte Tsuzukiwaza (Ryote Dori) fortgesetzt. Alle arbeiteten sehr intensiv und ausdauernd.
Die geplanten Prüfungen fanden letztlich nicht statt: Sven aus Frastanz (Österreich) konnte nicht für die Joden-Prüfung nach Balerna kommen, da er zeitgleich zum Seminar zum zweiten Mal Vater wurde. Die neue kleine Erdenbürgerin heißt Sally Louise und sie ist wunderschön! Wir gratulieren ihm und Sorana, den glücklichen Eltern.
Zum Abendessen wurden wir im Grotto del Furmighin in Sagno erwartet. Wie immer war der Service von Anna ausserordentlich herzlich und freundlich.

Sonntag

Der Sonntagmorgen begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein und T-Shirt-Temperaturen. Auf den Tatami wurden insbesondere viele Übungen zu den Techniken der 33. Tsuzukiwaza (Shinken) absolviert und anschließend die die gesamte Tsuzukiwaza am Stück (immer wieder schön) ausgeführt.
Das Seminar endete mit den gewohnten Emotionen. Viele Freunde machten sich auf den Heimweg, viele hatten noch eine lange Wegstrecke vor sich.
Eine kleine Gruppe traf sich zum Mittagessen mit dem Doshu wiederum in der Kulisse der Breggia-Schluchten: Ein gutes Risotto mit "ucelli scapati" (geköpften Vögeln, nicht "scappati" „entflohen“) sorgte für gute Stimmung am Tisch. (Anmerkung des Übersetzers: das sind kleine Kalbsrouladen, die aussehen wie die Körper von Vögeln ohne den Kopf).
Schließlich wanderten die Gruppe mit dem Doshu, der Schreiberin dieser Zeilen, Andrea, Govert, Roberto, Paola, Bernhard und David Carter den Waldweg oberhalb des Grotto entlang, um das charmante Dorf Morbio Inferiore zu erreichen, wo ein lebhaftes und interessantes Kastanienfest organisiert wurde. Der Doshu beobachtete aufmerksam das Rösten der Kastanien und probierte den guten Weißwein eines lokalen Produzenten.

Entspannung

Es war ein Moment wahrer Entspannung: Der Tag eignete sich besonders gut für einen Spaziergang durch die Innenhöfe der alten Häuser des Ortskerns, wo es Stände mit handwerklichen Produkten, Darstellungen der alten Aktivitäten der bäuerlichen Welt und Verkostungen von auf viele verschiedene Arten zubereiteten Kastanien gab.
So ging ein schöner friedlicher Nachmittag zu Ende und es war für alle Zeit, nach Hause zu gehen. Unser Doshu hat sich von uns verabschiedet und uns sein Lächeln und die Fülle seines Blickes hinterlassen, welche uns in den kommenden Monaten begleiten werden.
Unser Verein dankt allen herzlich, die zu uns gekommen sind, der Gemeinde Balerna, die die Turnhalle und die angrenzenden Räume kostenlos zur Verfügung gestellt hat, der lieben Harriet, die uns mit den herrlichen Blumenarrangements ihre wunderbare Kreativität gewidmet hat, und unseren Freunden, den Köchen, die mit Liebe und Hingabe für uns die Mahlzeiten zubereitet haben, „so wie es früher war“.
Ich verabschiede mich bis zum nächsten Jahr, zu einem noch schöneren Seminar! Eine herzliche Umarmung, Yvette Voumard, Balerna (CH).

Weitere Fotos

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