Follow me !?

私の意志を尊重して

12.02.2021 - 12.02.2025

Follow me

Auf Flughäfen gibt es Follow-me Fahrzeuge, die ankommende Flugzeuge zum Gate bzw. abfliegende zur Startbahn leiten.
Zum "Folgen" braucht es "Führer". In der Geschichte waren das meistens Heerführer oder auch Religionsführer, denen die Massen folgen wollten oder mussten. Im Dritten Reich gab es die Parole: "Führer, wir folgen dir."
Wenn jemand sagt "folget mir", ist auf jeden Fall zunächst einmal Vorsicht angesagt.

Wenn ihr  mir  folgt ...

Nach dem Tode von Yoshigasaki Sensei wurde eine schöne Gedenkkarte veröffentlicht, die in einem Teilaspekt die Frage des Folgens berührt:
"Während der fünfzig Jahre, in denen ich Aikido unterrichte, ist mir klar geworden, dass Liebe und Respekt das Wichtigste sind.
Wenn ihr mir folgt, folgt ihr dem Weg der Liebe und des Respekts."

Seine Schwester Michiko veröffentlichte im Jahr 2022 ein Booklet zu den Hilfsaktionen für die Opfer der Katastrophe von Fukushima. Darin würdigte sie ihren verstorbenen jüngeren Bruder Yoshigasaki Doshu. Sein Ausspruch zu Liebe und Respekt ist dort auf Japanisch wiedergegeben. Schaut man sich den Text genauer an, stellt man fest, dass die Ausdrucksweise anders ist.

Wenn ihr folgt ...

私は五十年に及ぶ合気道の指導を通して、最も大切なことは「愛と敬意」であると気がつきました。もしあなたが私の意志を尊重して追いてきてくれるなら、それは「愛と敬意」をたどる道です。

Watashi wa go jū-nen ni oyobu aikidō no shidō o tōshite, mottomo taisetsuna koto wa "ai to keii" dearu to ki ga tsukimashita. Moshi anata ga watashi no ishi o sonchō shite oite kite kurerunara, sore wa "ai to keii" o tadoru michi desu.

Während der fünfzig Jahre, in denen ich Aikido unterrichte, ist mir klar geworden, dass „Liebe und Respekt“ das Wichtigste sind.
Wenn ihr meine Absichten achtet und ihnen folgt, bedeutet dies, dem Weg der „Liebe und Respekt“ zu folgen.

Liebe und Respekt

Die Aspekte Liebe und Respekt sind leicht zu verstehen (zu interpretieren).
Mit Liebe ist offensichtlich die allumfassende Liebe gemeint, welche Personen z.B. im Laufe einer Erleuchtung, bei ausserkörperlichen Erfahrungen oder bei Nahtoderfahrungen erleben. Es lässt sich zwar darüber reden, aber erst durch persönliche Erfahrung wird sie wirklich verständlich.
Respekt ist ein Wort, das in die Irre führen kann. Es wurde früher oft im Sinne von Respekt und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit verwendet. Besser wäre hier die Verwendung von "Achtung", d.h. zumindest die Anderen so zu akzeptieren, wie sie sind.

Follow me

Während im englischen Text von "mir folgen/follow me" die Rede ist, spricht die japanische Variante davon, den Absichten/Intentionen (意志) zu folgen. Möglicherweise ist der englische Text eine verkürzte Wiedergabe des beabsichtigten Sinns. Insbesondere Übersetzungsprogramme im Internet liefern diese irreführende Formulierung. Die Aussage scheint sich auch gut als Zitat eines grossen Meisters zu eignen. Aber gerade zu dem Aspekt, einer schon verstorbenen Person zu folgen, hat Yoshigasaki Sensei sich in seinem Essay "Die Bedeutung des Wortes Sensei" schon 2004 explizit geäussert.

"Aikido ist ein Weg (DO, 道). Dieser Weg sollte durch das Üben im Aikido erhalten werden. Jemand, der der den Weg bewahrt, wird DOSHU genannt. Es gibt zwei unterschiedliche Bedeutungen von DOSHU. Die erste (mit der Schreibweise 道主) meint „den Herrn/das Oberhaupt des Weges“ und die zweite (道守) bedeutet „Bewahrer/Instandhalter des Weges“. Der Unterschied besteht darin, dass es nur ein Oberhaupt (主) aber viele Bewahrer (守) geben kann. Der Hauptlehrer eines Aikidoverbandes sollte DOSHU – Bewahrer des Weges – genannt werden. Aber viele Aikidoorganisationen haben in Wirklichkeit keinen solchen DOSHU. Das liegt daran, dass die meisten japanischen Lehrer den Lehren Anderer folgen, insbesondere denen von Morihei Ueshiba, obwohl er schon gestorben ist. Es gibt auch Lehrer, die keinem eigenen Lehrer folgen, aber stattdessen einer anerkannten Philosophie. Diese sind auch keine Bewahrer des Weges."


Bei der Übersetzung des englischen Originaltextes ins Deutsche oder Italienische wird "master" 道主 häufig falsch übersetzt, mit "Meister, maestro". Meister sind Personen, die sich auskennen, Experten. Dagegen bedeutet "master" im Englischen "Herr/Chef/Boss/Besitzer", siehe "Onkel Toms Hütte" oder "Vom Winde verweht".

Kopieren und Kreieren

Im November 2020 in Novara sagte Yoshigasaki Sensei u.a.:

" ... Daher ... dieser Unterschied zwischen Kopieren und Erschaffen ist ziemlich subtil. Seit 30 Jahren sage ich, dass man den Meister nicht kopieren soll, ihr sollt mich nicht kopieren. ... Mich zu kopieren ist wie Tonaufnahmen zu machen [er hatte vorher ein Beispiel dazu erwähnt]. Aber ihr solltet die Techniken kopieren. Ihr sollt nicht mich kopieren. Denn, um Techniken zu kopieren muss man diese im eigenen Kopf erzeugen. Techniken sind wie die Musik im Kopf. Und diese Musik im Kopf erzeugt den Klang. Und die Technik in eurem Kopf erzeugt eure Bewegung, eure Technik. Wenn ihr also Techniken kopiert, seid ihr kreativ. Dagegen, wenn ihr mich kopiert, habt ihr nichts kreiert. Das ist der Unterschied. Ihr dürft nicht mich kopieren, sondern die Techniken.

Fortsetzung ...

Meine Aufgabe ist es, Techniken zu unterrichten. Was ist aber in der Geschichte des Aikido passiert? Ueshiba hat zunächst die Techniken seines Meisters Takeda Sokaku kopiert. Dann begann er, seine eigenen Techniken zu entwickeln. Das Problem war, sie zu vermitteln. Seine Schüler haben seine Techniken nicht verstanden. Sie haben sie nicht in ihren Köpfen erzeugt. Sie haben sie gesehen, aber nicht für sich neu erschaffen. Es ist nötig, die Techniken zu kopieren, aber nicht mich! Das ist der Unterschied.
Deswegen benutze ich in meinem nächsten Buch (Aikido in Real Life) keine Fotos mehr, sondern Zeichnungen. Denn ich habe bemerkt, bei dem vorher publizierten Buch (All of Aikido), dass die Leute die Personen anschauen aber nicht die Technik sehen. Man muss die Technik sehen, nicht die Person. Mit den Zeichnungen sehen die Leute eher die Techniken. Also, ihr müsst die Technik kopieren und nicht mich.

Nun gab es aber das Problem, dass Ueshiba seine Technik gezeigt hat, aber fast niemand sie verstanden hat. Meister Tohei verstand ein wenig, aber er verfügte über eine Theorie des Shin Shin Toitsu Do, Yoga oder Zen usw. So hat er ein wenig verstanden und hat seine eigene Technik entwickelt. Dann hat er seine Technik unterrichtet und um sie verständlich zu machen, hat er dieses Ki gelehrt, die Vereinigung von Geist und Körper. Aber ich habe gesehen, dass die Mehrheit seiner Schüler trotzdem nichts verstanden hat.

Das Problem besteht darin, dass die Schüler eines Meisters von hohem Niveau ihn natürlich nicht verstehen. Das ist unvermeidlich. Als Meister Ueshiba das bemerkt hat, wurde er mystisch/religiös. Und als Meister Tohei es verständlich machen wollte, wurde er zu theoretisch/philosophisch. Was kann man also tun?

Bereits vor 20 Jahren hatte ich nach intensivem Training ein gutes technisches Niveau erreicht. Danach habe ich aber keinen Weg gefunden, mich (technisch) noch weiterzuentwickeln.
Wenn ich meine Technik entwickle und jemand anderes seine eigene Technik entwickelt, wie lassen sich dann meine Technik und die Technik des anderen beurteilen? Mit einem Wettkampf vielleicht. Aber wenn ich das machen muss, dann ist es kein Aikido mehr. Es ist, als würde man sagen: Welche Technik ist besser? Die von Ueshiba oder die von Tohei? Die Schüler von Ueshiba fragen dann: Die Techniken von Takeda Sokaku oder von Ueshiba? Hier haben wir also bereits einen Wettbewerb.

Wie findet man hier eine Lösung? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sinnlos ist, meine eigene Technik zu verbessern. Denn wenn ein Anderer seine Technik entwickelt, müssen wir dann einen Wettkampf veranstalten. Sonst weiss man ja nicht, wer besser ist. Es ist besser, wenn ich nicht meine eigenen Techniken mache, sondern die der anderen Person. Denn wenn ich die Technik von jemand anderem besser mache als er, gewinne ich immer. Wenn jeder seine eigenen Techniken macht, weiss man nicht wer gewinnt. Wenn ich aber die Technik des Anderen besser mache, gewinne ich immer.
In diesem Sinne unterrichte ich also nicht meine Techniken, sondern eure Techniken. Aber ich mache eure Techniken besser als ihr. Und wenn ich es schaffe eure Techniken immer besser als ihr selbst zu machen, gewinne ich immer. Und so entfällt die Notwendigkeit Wettkämpfe zu veranstalten.

Ich mache das seit 20 Jahren so. Wenn ihr also meint, es seien die Techniken von Meister Yoshigasaki, dann stimmt das nicht. Es sind eure Techniken. Ich habe versucht, eure Techniken zu entwickeln, für euch. Das ist mein Konzept des Unterrichts und das ist der Unterschied zu Meister Ueshiba und Meister Tohei. Sie haben Takedas Technik oder ihre eigene Technik ausgeführt, während ich eure Technik mache. Das heisst, ich mache die Techniken der "Menschheit". Ihr seid viele, nicht bloss eine Person, und ihr repräsentiert die Menschheit. Also mache ich die Techniken der Menschheit.

Ich verändere jedes Mal etwas, wenn ich unterrichte. Heute entwickle ich seine Technik - zeigt auf einen Schüler. Ich versuche, seine Technik besser zu machen als er, damit er sich weiterentwickeln kann. Das nächste Mal mache ich die Technik von jemand anderem. Offensichtlich ist die Technik des einen anders als die des anderen. Nicht ich habe mich verändert, ich habe immer eure Techniken ausgeführt. Ich habe das nicht nur für euch getan, sondern auch für mich. Denn wenn ich nur meine Technik mache, wird es zu einem Egoismus. Und Egoismus im Leben wird nach einer gewissen Zeit ermüdend.

Wenn man jung ist, ist es in Ordnung, seine eigenen Techniken zu machen. Aber wenn man älter wird, warum ich? Welchen Sinn hat das? Stattdessen ist es besser, anderen zu helfen. Das ist immer eine gute Sache."

Fazit

Wie aus diesen Erklärungen ersichtlich ist, stammt die Formulierung "... wenn ihr mir folgt" wahrscheinlich nicht von Yoshigasaki Sensei. Er wollte nicht seine Techniken verbreiten, sondern seinen Schülern helfen, bessere Techniken zu entwickeln. Ein Doshu ist nach seinem Verständnis kein Führer, dem zu folgen ist, sondern jemand, der den Weg bereitet. Wer den Weg gehen möchte, tut dies vorzugsweise bewusst, aus freiem Willen und in eigener Verantwortung.
Die Übernahme der vereinfachten Formulierung "... wenn ihr mir folgt" führt m.E. auch zu unschönen Effekten. Wenn "satori is not enlightenment" mit "satori ist keine Erleuchtung" oder "master of the way" mit "Meister des Weges" übersetzt werden, wird das leicht von jenen, die dem Meister folgen wollen, geglaubt. Folgen ist bequemer als selbst "mitzudenken".

Gedenkkarte



Don't follow me

Ein Beispiel
Aus dem "Leben des Brian" von Monthy Python, 1979.