Nikyo

二教

Nikyo ist keine einfache Technik. Im Training in Balerna und auf den letzten Seminaren wurden ein paar Fragen dazu gestellt. Deswegen habe ich hier einige Informationen zusammengetragen. Weiter unten finden sich Zitate aus den Erklärungen von Ratti & Westbrook, von Tohei, von Saito und von Yoshigasaki. Es lohnt sich die verschiedenen Aspekte auf der Matte auszuprobieren und eigene Erklärungen zu entwickeln. So können wir mit viel Übung sicher auch die komplexe Technik des nikyo meistern.

Nikyo

Aus: Ratti & Westbrook, Aikido und die dynamische Sphäre, 1967
"Diese Immobilisierungstechnik ist als Nikyo oder Kote Mawashi (nach außen gedrehtes Handgelenk) bekannt und stellt eine der wirkungsvollsten Techniken im praktischen Repertoire des Aikido dar, die bei richtiger Anwendung selbst die stärksten Menschen in die Knie zwingen kann.
Seine Funktionsmerkmale bestehen in einer typischen Verdrehung von Unterarm, Handgelenk und Hand des Gegners, die starke Schmerzen verursacht. Während der am Ellenbogen gebeugte Unterarm gezwungen wird, sich nach unten und außen zu drehen, wird die Hand dazu gebracht, sich nach innen in die entgegengesetzte Richtung zu drehen. Der resultierende körperliche Schmerz konzentriert sich auf das Handgelenk und die Schulter des erfassten Arms. Die aggressive Energie wird dann in einem geschlossenen und schmerzhaften Kreislauf auf sich selbst zurückgeleitet."

Varianten

Aus Ratti & Westbrook

"Eine solche Position von Ukes Arm kann erreicht werden
1. Mit einem Griff, der auf der Verwendung der Hände und Schulter basiert.
2. Oder auf die Verwendung der Hände allein.
3. Oder um die Handgelenke und Unterarme herum.
Alle diese Formen führen zu einer identischen Form des Arms des Gegners, ähnlich dem Buchstaben "S", und zu einer Umkehrung seiner natürlichen Streckung, sowohl physisch (strukturell) als auch funktionell."

Kommentar:
Nikyo ist eine Methode, um Uke unter Kontrolle zu bringen. Laut Yoshigasaki wird der Ellbogen kontrolliert, um damit den ganzen Körper von Uke zu kontrollieren. Dies erreicht man durch Verdrehung des Unterarms von Uke, so dass Uke seine Bewegungsfreiheit verliert. Ältere Formen von Nikyo setzen auf den Schmerz als wirksames Steuermittel.
Im Ki Aikido geht man lediglich bis zum Anschlag und mit einer gewissen Übung lässt sich Uke dann auch ohne oder mit sehr wenig Schmerzen unter Kontrolle bringen.
Doch schauen wir, was andere Aikidolehrer zu dem Thema sagen:

Koichi Tohei - Hitoriwaza

Aus: Coordination of Mind and Body for Self-defense, 1961

"Stellen Sie sich vor, Ihr Arm wäre ein kurzes Stück Wasserschlauch, Ihr Geist ist das Wasser und Ihr Handgelenk ist die Spritzdüse. Wenn Sie Ihren Geist nach Belieben durch Ihren Arm in jede Richtung ausdehnen möchten, muss Ihr Handgelenk geschmeidig und dennoch stark sein. Dies ist eine der Übungen zum Training der Handgelenke.
Stehen Sie natürlich mit entspannten Schultern und konzentrieren Sie sich auf den Einen Punkt. Anfangs können Sie Schmerzen verspüren, aber wenn Sie weiter trainieren, wird Ihr Handgelenk beweglicher und stärker und es treten keine Schmerzen mehr auf. Diese Nikyo-Technik kann verwendet werden, um einen Gegner unter Kontrolle zu bekommen, wenn er Sie am Revers oder an der Brust packt."

Koichi Tohei - Technik

Aus: Coordination of Mind and Body for Self-defense, 1961

"Nage: Er hält Ukes rechten Unterarm mit seiner linken Hand und drückt mit seiner rechten Hand fest gegen den Rücken von Ukes rechter Hand, um sie nahe an seine eigene linke Schulter zu bringen, indem er sie mit beiden Händen führt. Dann benutzt Nage seine linke Hand, um Ukes Arm zu führen, indem er ihn ergreift, nachdem er ihn am Handgelenk vollständig gebeugt hat. Er drückt Ukes rechten Unterarm nach unten, als wolle er dessen Körper in der Mitte spalten (Foto 87). Uke kann den Schmerz nicht ertragen und geht in die Hocke, aber Nage packt Ukes rechten Ellbogen erneut mit seiner linken Hand und wirft ihn auf die Matte. Diese Technik ist die gleiche wie die Hitoriwaza Übung Nikyo Undo. In Hitoriwaza trainierst du dich in der Regel selbst. Aber in der Technik wirst du von deinem Gegner trainiert."

"Drücke Ukes Handgelenk nicht zu plötzlich nach unten. Da diese Technik für denjenigen, bei denen sie angewendet wird, schmerzhaft ist, ist es ratsam, sie für Anfänger sehr sanft anzuwenden. Es kann für Uke gefährlich werden, wenn er sich unnötig widersetzt.
Wenn das Training schrittweise aufgebaut ist und die Muskeln und Sehnen zuerst gedehnt und gelockert werden, verspürt man nicht nur keine Schmerzen, sondern man fühlt sich nach den Übungen ganz natürlich wohl. Da AIKIDO manchmal mit Schmerzen verbunden ist, neigen viele Schüler zu der Annahme, dass es für den Körper schädlich sein könnte. Im Gegenteil, es ist gut für die Gesundheit. Sie brauchen sich überhaupt keine Sorgen zu machen, da das Handgelenk nur in die natürliche Richtung gebeugt wird und die Ellbogen nur in die Richtung gebeugt werden, in die sie sich natürlich beugen. Die Sehnen sind normalerweise etwas verhärtet, wenn sie nicht trainiert werden, und es schmerzt anfangs, wenn sie gedehnt werden. Aber wenn sie allmählich entspannt werden, gibt es keine versteiften Schultern mehr.
Wenn Uke sich unnötig widersetzt, kommt die Kraft, die er ausübt, wie ein Bumerang zu ihm/ihr zurück. Darauf muss man unbedingt achten. Nage und Uke müssen daher beide so üben, dass sie unnötigen Widerstand vermeiden."

Morihiro Saito

Aus: Aikido, Vol III, 1974

"Fassen Sie mit der linken Hand die Hand Ihres Partners und mit der rechten Hand seinen Handrücken. Heben Sie seinen Handrücken bis zu Ihrem linken unteren Revers und drehen Sie Ihre Hüften in einer impulsgebenden Bewegung. "Beuge seinen Arm in Form eines (Hiragana ku), wodurch sich sein kleiner Finger in Richtung seiner Nase dreht." (KUDEN. mündliche Überlieferung, Merkspruch).
Aus Gründen der Effektivität sollten Sie stärker Ihre rechte Hand statt der linken Hand bei der Anwendung der Technik benutzen."

Kommentar:
Während Tohei die Form des Armes mit einem S beschreibt, erinnert Saito an das Schriftzeichen , was nicht weiter verwunderlich ist, weil sein Buch original in Japanisch erschienen ist. Andere Lehrer vergleichen die Form des Armes mit einem Z.
Die englische Version des Textes von Saito, welche hier wörtlich auf Deutsch übersetzt wurde, gibt Rätsel auf. Wie muss ich das Handgelenk von Uke verdrehen, damit sein kleiner Finger zu seiner Nase zeigt? Die Lösung findet sich im japanischen Originaltext: 相手の腕をくの字に曲がって、相手の小指を鼻の方を向くように (口伝).
"Beuge den Arm des Gegners in die Form eines く, so dass der kleine Finger des Gegners in Richtung Nase zeigt (KUDEN)."
Hier ist nicht von Ukes Nase die Rede. Es ist offensichtlich die Nase von Nage gemeint.

Yoshigasaki Sensei - Hitoriwaza

Nikyo Undo
"Schliessen Sie die Arme und beugen Sie die Handgelenke. Sie finden so die Nikyo Form. Drücken Sie mit Ihrer rechten Hand gegen die Rückseite der linken Hand, und sehen Sie so wie stabil die Nikyo Form ist. Machen Sie das Gleiche mit der anderen Hand. Sie werden dieser Form noch häufig in Aikidotechniken begegnen. Sie müssen sie so üben, dass Sie sie während der Ausführung einer Technik beibehalten können. Zählen sie vier Mal, wenn Sie gegen die Rückseite der Hand drücken.
Sie sollten die Form beibehalten können, wenn Sie den Arm öffnen oder schliessen."

Yoshigasaki Sensei - Technik

Katatedori Ryotemochi Nikyo Irimi

Beppe Ruglioni - Technik

Katatedori Ryotemochi Nikyo Irimi und Tenshin
3 verschiedene Geschwindigkeiten:
1. Langsam zum Zeigen
2. Normale Geschwindigkeit, dynamische Ausführung
3. Zeitlupe, stark verlangsamt

Michiharu Mori

Yoshinkan Brisbane
Ohne viel Federlesens zu machen wird hier die Technik angewendet.
"Sie können ihm natürlich den Arm brechen, wenn Sie wollen. Oder Sie können ihm das Genick brechen, wenn Sie wollen. Sie müssen das natürlich nicht. Aber wenn es nötig ist ..."
Aikido Yoshinkan wurde von Gozo Shioda (1915–1994) in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg begründet. Es wird in Japan und anderen Ländern bei der Polizei eingesetzt. Mehr über Mori Sensei, der 9 Jahre lang Uchideshi bei Gozo Shioda war, findet sich hier. Das vollständige Video findet sich auf YT.

Hocke oder Kniestand

Eine technische Besonderheit:
In einigen der obigen Beispielen geht Uke bei Anwendung des Nikyo lediglich in die Hocke. Bei Ratti & Westbrook, bei Beppe Ruglioni und bei Michiharu Mori hat Uke das Knie, welches am nächsten zu Nage ist, aufgestellt. Das ist die stabile Stellung, die ihn davor schützt, umgestossen zu werden. Wie man im letzten Video sieht, gibt es trotzdem noch Möglichkeiten, ihn zu quälen oder ihm sogar körperliche Schäden zuzufügen.
Das schnelle Abfedern in die Hocke birgt die Gefahr, dass die Kniegelenke zu stark beansprucht werden. Das Abknien mit dem Knie zum Partner nach oben erfordert dagegen einige Übung. Bei Anfängern, und teilweise auch in den obigen Videos, sieht man häufig die naheliegende, normale Reaktion. Man spürt an der Schulter den Druck bzw. den Impuls des nikyo und geht mit diesem Knie sofort zu Boden.



Kommentar zum Yoshinkan Aikido:
Yoshinkan Aikido wird allgemein als sehr anwendungsorientiertes, hartes und schmerzhaftes Aikido wahrgenommen. Dagegen schreibt Mori Sensei: "... aber Meister Shioda führte seine Technik so schnell aus, dass ich kaum etwas ausser einer kleinen Bewegung spürte, dann waren alle Muskeln in meinem Körper sofort blockiert. Es fühlte sich an, als würde eine Vibration durch den ganzen Körper gehen, der von diesem kleinen alten Mann kontrolliert wurde, obwohl ich keinen Schmerz fühlte."
Yoshinkan ist in etwa das Aikido, welches Ueshiba Morihei bis zum 2. Weltkrieg praktizierte. Danach fand er die Ideen von Omotokyo wichtiger und transformierte sein Aikido in eine Übung um "höhere" Ziele zu erreichen.
Offensichtlich beherrscht Mori Sensei die Techniken perfekt. Er benötigt aber auch einen Uke, der dies alles mit sich machen lässt, ohne dass er ihm gleich die Knochen bricht. Beide haben ein sehr intensives Training hinter sich.
Im Yoshinkan werden zuerst sehr lange nur Basisbewegungen geübt. Ein Video auf YT mag dies illustrieren: Kihon Dosa.
Danach kommen dann die Techniken, die immer und immer wieder in gleicher Form wiederholt werden. Das ist die traditionelle Art der Ausbildung. Mori Sensei beschreibt dies sehr anschaulich in seinem Bericht über die 9 Jahre, die er als Uchideshi bei Gozo Shioda verbrachte.
Das Original (Englisch) findet sich hier. Wer lieber die deutsche Übersetzung liest: PDF.