Jo 1 und Bokken

2020-10-26

Tsuzukiwaza 25: Jo 1

Jo 1 gibt es als Hitoriwaza, als Kumiwaza mit Bokken in der Standardform und als Kumiwaza mit Bokken in der langen Form. In der Standardform führt Jo nur die Techniken aus der Hitoriwaza Form aus. In der langen Form werden noch weitere mögliche Situationen gezeigt. Unter anderem wird demonstriert, wo Uke oder auch Nage fatale Treffer erhalten können.

Jo 1 und Bokken

Im Prüfungsprogramm für den 1. Dan.
In der Tsuzukiwaza treten nur zwei Akteure auf, Nage (mit Jo) und ein Uke. Es ist wichtig zu wissen, dass Uke dabei mehrere Angreifer darstellt, die nacheinander Nage das Leben schwer machen.
Im ersten Durchgang zählt Nage basierend auf der Numerierung der Situationen in Jo 1 Hitoriwaza. Im zweiten Durchgang wird nicht gezählt.
Das ursprüngliche Videomaterial stammt von Michael Kunst vom Dojo Stuttgart.

Die speziellen Situationen in Jo 1 und Bokken

  • erstes 1: Uke wird getroffen
  • erstes 2: Uke wird getroffen
  • erstes 4: Uke wird getroffen
  • erstes 5: Uke wird getroffen
  • erstes 12: Nage wird getroffen
  • erstes 14: Nage wird getroffen
  • erstes 15: Uke wird getroffen
  • erstes 16: Nage wird getroffen
  • erstes 18: Nage wird getroffen
  • zweites 18, 19: Uke wird getroffen
  • erstes 21: Nage wird getroffen
  • 22: Uke und Nage schliessen Frieden


Amidado dayori
Briefe vom Amidaschrein 2002

Szenen
Japan, Anfang der 2000er Jahre. Der Schriftsteller Takao und seine Frau, die Ärztin Michiko, ziehen von Tokio nach Yanaka aufs Dorf. Dort steht Takaos Elternhaus. Michiko hat einen Burn-out mit Panikattacken und Takao macht seit 10 Jahren eine schöpferische Pause.
Im Dorf leben viele alte Menschen. Die beherrschenden Themen sind Gesundheit, Krankheit, Leben und Tod.

Das Landleben erscheint in seiner Einfachheit ideal. Beim Gedenkschrein des Amida Buddha (Amidado) lebt die 96-jährige O-Ume. Sie diktiert ihre Gedanken der stummen jungen Sayuri. Diese werden dann als "Brief vom Amida Schrein" im Nachrichtenblatt des Dorfes veröffentlicht. Auch Koda Sensei, der alte, krebskranke ehemalige Lehrer von Takao, sinniert über das Leben und den Tod. Er praktiziert die ganze Zeit Shodo (Kalligraphie). Sein Motto ist 天上大風 (てんじょう おおかぜ), "Hinauf zum Himmel mit einem starken Wind". Er kommt zu dem Ergebnis, dass alles Form ist.
Takao und Michiko machen erholsame Spaziergänge in der Natur. So bessert sich Michikos Gesundheitszustand. Sie kann im Dorfkrankenhaus in Teilzeit arbeiten und auch Sayuri bei ihrer schweren Erkrankung helfen.
Ein sehr langsamer Film mit vielen schönen Bildern und Szenen.
Regisseur Takashi Koizumi und der Hauptdarsteller Akira Terao sind aus den Filmen "Nach dem Regen (1999)" und "Des Professors geliebte Gleichung (2006)" bekannt. Der Film basiert auf dem Buch "Amidado dayori" (1995) des japanischen Arztes und Schriftstellers Keishi Nagi. Es werden Gedanken aus Werken von Miyazawa Kenji, Ryōkan Taigu und Alexander Sergejewitsch Puschkin zitiert.
Der internationale Titel des Films ist "Letters from the mountains".


Begrifflichkeiten in Japan versus philosophische Konzepte in Europa

Beim Anschauen des zitierten Films „Amidado dayori“ sind mir an mehreren Stellen die philosophischen (Un-)Tiefen aufgefallen. Der Film selbst liegt im Original mit japanischen Untertiteln vor. Im Netz sind englische, französische und italienische Untertitel verfügbar. Die philosophischen Stellen habe ich dann in diesen Sprachen verglichen. Dabei bestätigte sich meine Vermutung:
Japanische Begrifflichkeiten werden oft unpassend in europäische philosophische Konzepte übertragen. Es ist angebracht, diese Übersetzungen zu hinterfragen.

Es beginnt bereits im Aikido mit Shin Shin Tōitsu:

心身統一 SHIN SHIN TŌITSU

DE: Vereinigung von GEIST und KÖRPER
IT: unificazione della MENTE e del CORPO
EN: unification of MIND and BODY
FR : unification de L’ESPRIT et du CORPS
Die Grundbedeutung des ersten SHIN (心) ist Herz. Die erste Übersetzung erfolgte wohl ins Englische mit "mind". Die philosophischen Konzepte von "Geist", "mente", "mind" und "esprit" sind bekanntlich nicht deckungsgleich.

SATORI ist nicht Erleuchtung

Yoshigasaki Sensei hat im April 2020 in seinen "Lectures from Doshu" einen interessanten Text zum Begriff "Satori" veröffentlicht:
Das Wort "Satori" wird von Zen-Leuten in Japan seit vielen Jahren verwendet und wurde höchstwahrscheinlich von jemandem in Europa oder den Vereinigten Staaten als "Erleuchtung" übersetzt. ...
"Erleuchtung" bezeichnet aber in Europa eine intellektuelle und philosophische Bewegung.
"Erleuchtung" hat also nichts mit "Satori" zu tun. Satori basiert auf körperlicher Erfahrung. Erleuchtung ist intellektuell und philosophisch. ...

Ein paar Beispiele dazu aus dem Film Amidado dayori.

自分の意志で JIBUN NO ISHI DE

DE: durch eigenen Willen
IT: grazie alla propria forza di volontà
EN: by sheer force of will
FR: par la seule force de la volonté
Hier wird statt "Wille" sogleich die "Willenskraft" verwendet.

さっぱりした SAPPARISHITA

Im Bewusstsein, dass er nicht mehr lange zu leben hat, verschenkt Koda Sensei seine Bücher an die Schulbibliothek und gibt insgesamt viele persönliche Sachen weg. Er sagt einfach "Das ist befreiend (erquickend)". In den Übersetzungen werden sogleich der Geist oder die Seele bemüht:
DE: das nimmt mir eine Last von der Seele
IT: sto svuotando la mia mente
EN: it’s a load off my mind
FR : c'est un poids en moins pour mon esprit

姿はそのひとの心を映す sugata wa kokoro o utsusu

Koda Sensei formuliert seine Sicht vom Leben und meint, dass die "Form (sugata)" das Wesentliche sei. Er erklärt die Form mit:
DE: die Form widerspiegelt das Herz des Menschen
IT: perché la forma riflette il cuore della persona
EN: form traces the outline of the soul
FR: la forme des traits, c'est l'esquisse de l'âme
Auch hier wird "Herz" teilweise mit "Seele" übersetzt.

私の体から出て行ったのは “気“ なのよぬ 元気の気
watashi no karada kara dete itta no wa "ki" nanoyonu genki no ki

Doktor Michiko Ueda berichtet von einer Situation, in der sie einen Sterbenden begleitet hat. Dabei entfleuchte etwas aus ihrem Körper und danach hatte sie nur noch Todesgedanken.
DE: was aus meinem Körper entfleuchte war „Ki“, das Ki wie im Wort Gen-ki
IT: quello che era uscito dal mio corpo era il mio "Ki", la mia forza vitale
EN : what got off of my body was my "Ki", my vital force
FR : ce qui est sorti de moi c'était mon ki, ma force vitale
Die Sprecherin präzisiert hier das Wort "Ki 気", indem sie angibt, welches Kanji gemeint ist. Es ist das Schriftzeichen wie im Wort Gen-ki (元気). Passenderweise heisst Gen-ki Gesundheit. Weniger passend hätte es die Akteurin auch über Den-ki (電気) Elektrizität erläutern können. In den Übersetzungen wird mit Ki sogleich die Lebenskraft assoziiert.

生きる エネルギー ikiru enerugii

DE: Lebensenergie
IT: energia vitale
EN: vital energy
FR: énergie vitale
Ein Indiz dafür, das Ki im Japanischen nicht Lebensenergie bedeutet, ist die Verwendung des Ausdrucks "ikiru enerugii". Ikiru heisst "leben" und enerugii ist ein Fremdwort im Japanischen. Es kommt vom physikalischen Begriff Energie im Deutschen.

"Energie" bezeichnet im europäischen Weltbild nicht nur die physikalische Energie wie z.B. die kinetische Energie eines Körpers E=½mv², die Energie eines Photons E=hf oder das Energieäquivalent einer ruhenden Masse E=mc² etc.
"Energie" kommt bekanntlich vom altgriechischen ἐνέργεια enérgeia "etwas drinnen, das wirken kann").

Übersetzung oder Übertragung

Grundsätzlich stellt sich immer die Frage, ob es besser ist, einen Text wörtlich zu übersetzen oder in die Begriffswelt des Rezipienten zu übertragen.
Ein Beispiel aus "Amidado dayori" mag dies illustrieren:

Kinpira

Die hochbetagte O-Ume fragt den Schriftsteller Takao, ob er Geschichten aus dem echten Leben oder Fantasiegeschichten schreibe. Takao versucht es mit einem Beispiel, das O-Ume aber nicht versteht. Sayuri drückt es dann in der Begriffswelt von O-Ume aus.

Sayuri: Sie sind ein Schriftsteller, habe ich gehört.
Takao: Wenn mich die Leute so nennen, ist es mir direkt peinlich.
Ich habe vor über zehn Jahren einen Preis gewonnen. Ich habe seitdem nichts mehr geschrieben. Ich bin eher ein gescheiterter Romancier.
Sayuri: (mit Gesten) Nein, nein! Weitermachen!
O-Ume: Genau!
Diese Romane von dir ... sind das Lügengeschichten? Oder sind es wahre Geschichten?
Takao: Nun, sie sind nicht direkt 'wahr'. Vielleicht sind es Lügengeschichten, die die Wahrheit erzählen. Also mit einem Beispiel.
Man kann Klettenwurzeln (ゴボウ, Arctium lappa) nicht direkt vom Feld essen. Aber man kann sie als Kinpira (金平) zubereiten (heiss anbraten und dann leicht kochen). Wenn Sie fragen, was 'echt' ist, es ist die Klettenwurzel auf dem Feld. Aber wenn es Kinpira nicht gäbe, wüsste man nicht, wie gut es schmecken kann. So in etwa ist das.
O-Ume: Du schreibst also über Kinpira?
Takao: Nein, das ist ein Missverständnis ...
Daraufhin schaltet sich Sayuri ein und erklärt:
Sayuri: Ein Roman ist Amida Buddha in Form von Wörtern, denke ich.
O-Ume: Das kann ich verstehen!

Arctium lappa