Meiji Restauration

明治維新めいじ・いしん

2020-08-17

Moderne Japanische Geschichte

Viele der neueren realistischen Samurai-Filme spielen in der Zeit der Meiji-Restauration. Um die gesellschaftliche Situation jener Zeiten besser zu verstehen, gebe ich hier im Wesentlichen einen Aufsatz von Karl-Heinz Winkler wieder, der diese Epoche m. E. ganz gut beschreibt. Die gesellschaftlichen Umwälzungen der Meiji-Zeit waren die Voraussetzungen für die Entstehung der modernen Budokünste wie Judo, Kendo und Aikido.


Revolution von oben

Die Meiji-Restauration ist eine der erstaunlichsten Entwicklungen als Reaktion auf den Zusammenstoss einer asiatischen Zivilisation mit der westlichen Moderne. Japan entwickelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte aus einem Agrarstaat zu einer Industrienation. Es zog mit dem Westen gleich und zeigte sehr schnell selbst koloniale Ambitionen.
Zwar konnten auch andere Nationen in Asien, wie z.B. Siam oder Afghanistan, dem westlichen Imperialismus widerstehen, doch sie verharrten danach in ihren alten Strukturen. Japan erkannte hingegen, dass eine blosse Abwehr der ausländischen Bedrohung nicht ausreichte. Das Land musste sich völlig verändern, um zukünftig eine Rolle in der Weltpolitik spielen zu können. Und noch erstaunlicher ist es, dass hierzu keine Revolution gegen die alten Oberschichten notwendig war wie zum Beispiel später in China. In Japan führten die Eliten selbst diesen Umwandlungsprozess durch. Sie waren bereit, auf Teile ihrer Privilegien zu verzichten. Sie gingen auch militärisch gegen jene Fraktionen der bislang herrschenden Gruppen vor, die den Weg in die Moderne nicht mitgehen wollten.

Meiji Tenno in Edo
Mit der Thronbesteigung von Kaiser Mutsuhito, Regierungszeit 1868-1912, Thronname Meiji (明治 = erleuchtete Herrschaft) erlebte das Land einen tiefgreifenden Wandel. Die Bezeichnung Meiji-Restauration wirkt irreführend auf den westlichen Betrachter, da es in Wirklichkeit eine Revolution war, die hier stattfand. Da aber in dieser Ära die Herrschaft wieder an den Kaiser zurückfiel, die er vor vielen Jahrhunderten an rivalisierende Feudalclans verloren hatte, schien es eine Rückkehr zu alten Verhältnissen zu sein, eben eine Restauration.

Tokugawa-Shogunat

Nach einer langen Phase innerer Unruhen gelang es im Jahre 1600 Tokugawa, einem mächtigen Fürsten im Osten des Landes, alle rivalisierenden Warlords zu besiegen und das Tokugawa-Shōgunat zu begründen (Shōgun = Heeresführer, auch Bakufu genannt). Dieses bestand offiziell bis 1868. Seit 1639 hielten die Shogune das Land vollständig von der Aussenwelt abgeschlossen und beliessen lediglich den Holländern einen Handelsstützpunkt in Nagasaki. Auslandsreisen und Kontakte zu anderen Staaten wurden den Japanern strengstens untersagt. Erst 1853 erzwangen US-Schiffe unter Kommodore Perry, der mit seinen Schiffen vor Yokohama in der Bucht von Edo (Tōkyō) auftauchte, das Ende der selbstgewählten Isolation des Landes.
Das Japan, welches die Amerikaner und später die Europäer vorfanden, erinnerte sie an das europäische Mittelalter. Während in den übrigen asiatischen Staaten Herrscher mit einer zentralisierten Bürokratie ihre Länder regierten, hatte man in Japan den Kaiser (Tennō), zur völligen Machtlosigkeit verdammt. Er führte in den Palästen von Kyōto ein schattenhaftes Dasein. Es nützte den Kaisern nichts, dass sie angeblich göttlichen Ursprungs waren und ihre Dynastie von der Sonnengöttin Amaterasu abstammen soll. Stattdessen wurde Japan von einer kleinen Gruppe Feudalherren regiert, 266 Grossfürsten (Daimyō), denen das gesamte Land mit den dazugehörigen Bauern gehörte.
Der mächtigste von ihnen gehörte zu dem Tokugawa-Clan, der ungefähr ein Viertel des japanischen Bodens besass. Die Daimyō herrschten auf ihren ausgedehnten Gütern mehr oder weniger autonom. Doch der Shōgun zwang sie dazu, sich immer wieder eine Zeitlang in Edo, der japanischen Hauptstadt, aufzuhalten, um sie seiner Kontrolle zu unterwerfen.

Die alte Ständegesellschaft

Die gesamte Gesellschaft gliederte sich in vier Stände, die streng voneinander geschieden waren. Es handelte sich um Geburtsstände, die Menschen wurden in sie hineingeboren. Ein Wechsel war nicht möglich. Genauso wie im europäischen Mittelalter unterbanden sie die soziale Mobilität.
Der erste Stand bestand aus den Samurai, den Kriegern und Gefolgsleuten der Daimyo. Sie ähnelten den europäischen Rittern, nur dass sie in der Regel kein eigenes Land besassen, sondern von ihren Feudalherren ein jährliches Gehalt in Form von Reiszuwendungen erhielten.
Ihre Zahl betrug am Ende der Tokugawa-Epoche mit Familienmitgliedern ungefähr 2 Millionen. Das waren ca. 6% der Bevölkerung. Ihre soziale Lage gestaltete sich höchst unterschiedlich. Sie war abhängig vom Reichtum ihres Herrn und dem Rang, den der einzelne Krieger in der Hierarchie einnahm. Ausgebildet um Krieg zu führen, verloren sie während der langen Friedenszeit unter dem Tokugawa-Shōgunat jegliche Funktion und nahmen immer mehr den Charakter einer parasitären Kaste an. Sie nahmen keine nützlichen Aufgaben mehr wahr und beschränkten sich in der Regel darauf, ihren Sold auszugeben. Auch auf ihrem ureigenen Gebiet, der Kriegsführung, entwickelten sie sich zu einem Anachronismus. Denn der heroische Einzelkampf erwies sich in der Auseinandersetzung mit modernen europäischen Armeen als hoffnungslos unterlegen. Da die Samurai Feuerwaffen als unehrenhaft ablehnten, wurden sie zu einem leichten Opfer moderner Waffentechnologien.
Ihr Verhaltenscodex, Bushidō genannt, worunter vor allem eine unbedingte Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten zu verstehen ist, hat die japanische Gesellschaft bis heute geprägt. Dieser hat, so meinen viele Historiker, den späteren Militarismus und die Expansion des Kaiserreiches im Zweiten Weltkrieg mit ermöglicht.

Japanese village
Der zweite Stand mit etwa 28 Millionen Menschen umfasste die Bauern, die das Rückgrat jeder Agrargesellschaft bilden. In Japan erfreuten sie sich einer höheren Wertschätzung als in Europa. Sie stellten natürlich auch hier vor allem eine Quelle der Bereicherung für die Oberschichten dar, die ganz allgemein die Landwirtschaft schätzten, aber nicht unbedingt die Landwirte. Die Dorfgemeinschaften waren in sich sozial differenziert, weil die einzelnen Familien über höchst unterschiedliche Anteile an Land verfügten. Da der Anbau von Nassreis allerdings zu umfangreicher Kooperation zwingt, gab es einen grösseren Zusammenhalt in den Dörfern. Nachdem die Realteilung verboten wurde, vergrösserte sich die Zahl der Hofstellen nicht mehr. Auch eine Ausweitung der Ackerflächen war mangels fruchtbaren Lands nicht mehr möglich. So entstand vermutlich eine grössere Anzahl landloser Bauern, von denen viele in die Städte auswichen.
In der Stadt Edo lebten im 19. Jahrhundert bereits eine Million Menschen.
Die Dorfgemeinschaften hafteten kollektiv für die Abgaben an die Grundherren und deren Gefolge. Die Bauern waren in Fünfergruppen organisiert, fünf Häuser waren füreinander verantwortlich und sollten sich gegenseitig kontrollieren. Ob dieses organisierte Überwachungssystem allerdings die erwünschten Erfolge zeigte, mag dahingestellt sein.
Es wird von über 3.000 Bauernerhebungen während des Tokugawa-Shōgunats berichtet, in der Regel waren dies allerdings nur lokale Tumulte.
Daneben gab es den dritten Stand der Handwerker und den zunächst wenig geachteten vierten Stand der Händler.

Protoindustrielle Entwicklung

In der Tat ähnelte Japan sehr stark der europäischen Feudalgesellschaft und möglicherweise war das Land dabei, sich eigenständig in eine kapitalistische Gesellschaft zu verwandeln. Die Umwandlung von Naturalabgaben der Bauern in eine Geldrente während des Bakufu führte allmählich zu den aus Europa hinlänglich bekannten Zersetzungserscheinungen des Feudalsystems. Denn die Naturalwirtschaft verwandelte sich somit in eine Geldwirtschaft. Das Geld macht es möglich, eine unbegrenzte Vielfalt von Waren zu erwerben, erlaubt eine unbegrenzte Entfaltung der Bedürfnisse. Dies führt zu einem Anreiz, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen, wenn die Höhe der Abgaben fixiert ist und die darüber liegenden Überschüsse dem Bauern für den privaten Konsum verbleiben. Aber auch der Adel vervielfacht jetzt seine Bedürfnisse und will seine neuen Konsumbedürfnisse befriedigen. Versucht er mehr Geld durch Erhöhung der bäuerlichen Pachtgebühren zu bekommen, führt dies zu erheblichen Spannungen in dem Verhältnis zwischen Grundherren und Bauern. Die Zunahme von Bauernunruhen in Japan am Ende des Bakufu ist möglicherweise diesem Umstand geschuldet.

Coins 1550-1636
Gewinner einer solchen Entwicklung sind in der Regel die Kaufleute, welche die Produktion vermarkten. Die Organisation des Reishandels und der Verkauf gewerblicher Produkte, die über das ganze Land transportiert wurden, verschaffte dem bis dahin wenig geachteten Stand der Händler plötzlich eine immens wichtige Bedeutung und führte zur Bildung grosser Kaufmannsvermögen. Auch wenn die Daimyo und die Samurai aus ihrer Verachtung gegenüber dem vierten Stand keinen Hehl machten, gerieten sie bald immer mehr in eine finanzielle Abhängigkeit von ihnen.
In den Städten hatten sich die Handwerker in Zünften organisiert und besassen grosse Kenntnisse in der Metallverarbeitung, der Herstellung von Uhren, Waffen, Rikschas, Schreibutensilien, Textilwaren. Die wachsenden Städte boten einen hinreichend grossen Absatzmarkt. In den Dörfern lebten zahlreiche Heimarbeiter, die Baumwolle verarbeiteten. Da viele Samurai verstreut im Land wohnten, existierte überall eine breite Schicht wohlhabender Konsumenten mit lokalen Märkten.
Im 19. Jahrhundert befand sich Japan in einem fortgeschrittenen Stadium der Protoindustrialisierung und wies somit bereits all die Merkmale auf, die für die Entwicklung einer modernen Marktwirtschaft als erforderlich erachtet werden: eine voll ausgebildete Geldwirtschaft, eng vernetzte Marktstrukturen, beachtliche Kapitalvermögen - bereit für umfangreiche Investitionen, eine gut ausgebaute Infrastruktur, einen beachtlichen Stand der gewerblichen und landwirtschaftlichen Produktion. Dazu kam eine disziplinierte Arbeitsbevölkerung, die schon seit langem daran gewöhnt war, auf eigene Rechnung zu arbeiten, die Überschüsse erzeugte und an einer stetigen Weiterentwicklung ihrer Einkommen interessiert war.
Traditionelle japanische Traditionen standen dem nicht entgegen. Die Selbstdisziplinierung der Samurai war auch für Lohnabhängige und Kleinunternehmer eine sinnvolle Eigenschaft. Die Organisation in Fünfergruppen in der Landwirtschaft, die es aber auch im Handel und Gewerbe gab, zeigte deutlich, dass man in einer Gruppe mehr erreichen kann. Eigeninteresse und Gruppeninteresse bildeten keinen Widerspruch.
Alles in allem war die japanische Gesellschaft gut aufgestellt und konnte daher auf die westliche Penetration angemessen reagieren.
Möglicherweise hätte es Japan auch aus eigener Kraft geschafft, eine bürgerliche Gesellschaft zu gründen, die Stände abzuschaffen, die Feudalherrschaft zu beenden, sämtliche Vorschriften zu beseitigen, die eine industrielle Entwicklung hemmten. Aber dies erwies sich als nicht notwendig. Der Zusammenstoss mit den Kolonialmächten war so heftig, dass alle Schichten daran interessiert waren, ihr Land so schnell wie möglich zu verwestlichen.

Japan

Ende der Isolation und Sturz des Shogun

Als der amerikanische Kommodore Perry Japan zur Öffnung seiner Häfen zwang, endete jäh eine 250 Jahre dauernde Selbstisolierung des Landes. Im Vertrag von Kanagawa 1854 öffnete es zwei Häfen für die amerikanischen Schiffen zur Verproviantierung. Es musste die Errichtung eines amerikanischen Konsulats zulassen und den USA eine Meistbegünstigungsklausel einräumen. In den nächsten Jahren wurden auch Beziehungen mit europäischen Staaten aufgenommen, die ebenfalls Niederlassungen errichteten. Die Entwicklung liess sich nicht mehr aufhalten. Die technische und militärische Überlegenheit der Fremden konnte niemand ignorieren.
Das Bakufu zeigte sich völlig unfähig, diesen Prozess zu stoppen, geschweige denn zu kontrollieren. In den Augen der anderen Daimyo verspielte es somit seine Führungsrolle. Aber auch die Versuche anderer Clans, die Fremden zu vertreiben, scheiterten kläglich. Der Herrscher von Satsuma im Süden Japans geriet in einen Konflikt mit den Briten, die daraufhin seine Festung Kagoshima beschossen. Auch der Herrscher von Chōshū im Westen Japans legte sich mit den Ausländern an. 1864 erschien deshalb eine Flotte von 17 Schiffen britischer, amerikanischer, holländischer und französischer Herkunft und zerstörte im Hafen von Shimonoseki alle Festungsanlagen. Es sah so aus, als würde Japan in Kürze ein ähnliches Schicksal erleiden wie Indien oder China, eine abhängige, unterentwickelte Kolonie werden, ein Spielball der Grossmächte.
Dass die Entwicklung dann völlig anders verlief, verdankte Japan einer bemerkenswerten Einsicht der Oberschichten in den Ernst der Lage. Bereits kurz nach dem Eintreffen von Kommodore Perry hatte sich eine Gruppe von Beratern der Daimyo gebildet. Mit den Parolen «Vertreibt die Barbaren» und «Verehrt den Kaiser» forderten sie eine grundlegende Revision in der Innenpolitik und die Ablösung der Doppelspitze Kaiser-Shōgun zugunsten der alleinigen Machtkonzentration beim Tennō. Die Verlierer im Kampf gegen die Ausländer, die Herrscher von Satsuma und Chōshū, erkannten nun die Richtigkeit dieser Forderungen.
Um Japan vor den Ausländern zu retten, musste der unfähige Shōgun gestürzt werden. Die grosse Mehrheit der Daimyo schloss sich dieser Bewegung an und forderte das Ende des Bakufu. Nach einem kurzen Kampf wurde der Shōgun endgültig besiegt und das gesamte Land des Tokugawa-Clans konfisziert und dem Staat unterstellt. Alle Macht konzentrierte sich nun bei dem jungen Meiji-Kaiser, der 1868 sein Amt angetreten hatte.
Im darauffolgenden Jahr übergaben fast alle Daimyo ihre Ländereien dem neuen Herrscher und verzichteten auf ihren Grundbesitz und ihre Privilegien.
Die japanischen Bauern zahlten nun ihre Abgaben, jetzt also reguläre Steuern, an den Staat und nicht mehr an ihre früheren Grundherren. Die Macht des Tennō wurde dadurch noch einmal erheblich gestärkt.

Japan

Tausend und ein Jahr

Eine mehr als tausend Jahre alte Ordnung war in nur einem Jahr praktisch über Nacht zusammengebrochen, ohne dass es einer blutigen Revolution bedurfte wie in Frankreich, Russland oder China. Dieser erstaunliche Wandel zeigte sich zudem ziemlich unspektakulär, denn die Abschaffung des Bakufu und die alleinige Herrschaft des Tennō schien nur die Wiederherstellung einer uralten Ordnung zu sein. Sie hatte äusserlich nichts Revolutionäres an sich, zeigte sich also eher als Restauration. Möglich war dies im Wesentlichen aus drei Gründen. Erstens die äussere Bedrohung, zweitens die überschaubare Zahl der Daimyo und deren Einsicht in die politischen Notwendigkeiten, sowie drittens die gottähnliche Stellung des Kaisers.
Natürlich war die Macht der Feudalherren jetzt nicht beendet. Vielmehr zeigte es sich, dass die alte Elite auch die neue war. Die Daimyō bekamen vom Staat hohe Abfindungen und Pensionen für die Ländereien, die jetzt dem Staat unterstellt waren. Schon bald entwickelte sich aus Teilen des Feudaladels die neue Unternehmerelite. Diese verfügte jetzt nicht mehr über Grundbesitz, sondern über Kapitaleigentum und beherrschte somit weiterhin das Land, aber von einer anderen Basis aus. Die alten Machthaber hatten sich modernisiert, die Meiji-Restauration ermöglichte es ihnen, weiterhin, unter veränderten Bedingungen, die Führungsrolle zu übernehmen.

Die neue Ordnung

Ziel der politischen Veränderungen war es keineswegs, einen demokratischen Staat zu schaffen, nicht einmal eine konstitutionelle Monarchie, sondern eher ein absolutistisches Kaiserreich. Das europäische Bürgertum hatte einst für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft, doch für diese Ideale hatte der Herrscher kein Verständnis und wollte sie keinesfalls importieren. Da es kein entwickeltes Bürgertum in Japan gab, existierten auch keine sozialen Schichten, die solche Forderungen hätten erheben können. Dies änderte sich erst einige Jahre nach Beginn der Restauration. Doch die demokratischen Kräfte blieben schwach. Der Tennō erliess 1889 eine Verfassung, welche sich am preussischen Obrigkeitsstaat orientierte. Sie beliess dem Kaiser eine enorme Machtfülle und ermöglichte dem Parlament nur eine begrenzte Mitwirkung an der politischen Willensbildung.
Diese strukturellen Veränderungen reichten allein noch nicht aus. Die sich daraus ergebenden Chancen mussten nun auch genutzt werden. Glücklicherweise verfügte der Kaiser über einen hervorragenden Beraterstab aus Intellektuellen, die ursprünglich aus der Kaste der Samurai stammten. Diese hatten sich mittlerweile ausgiebig mit westlicher Wissenschaft und Technik beschäftigt. Einige von ihnen hatten bereits Europa und die USA bereist.
In den nächsten Jahren wurde die alte Ständeordnung abgeschafft und eine allgemeine Gleichstellung durchgesetzt. Das Vier-Klassen-System war damit beendet. Eine freie, nach der Wirtschaft orientierte Gesellschaft machte Reichtum, Bildung und politischen Einfluss zum neuen Massstab des Ansehens. Die Kollektivhaftung der Dörfer für Steuern wurde beseitigt. Das System der fünf Häuser wurde beendet und es wurde eine individuelle Besteuerung eingeführt.
Land wurde frei verkäuflich. Die alte Einteilung Japans nach Herrschaftsregionen der ehemaligen Grundherren wurde abgeschafft. Es erfolgte eine neue, rationale Einteilung der Gebiete nach verwaltungstechnischen Gesichtspunkten. 1873 wurde dann die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Sie ersetzte das Heeresaufgebot der Samurai. Verlierer dieser Entwicklung waren die Samurai, für die es in diesem neuen System keine Verwendung gab. Ihre Pensionen erhielten sie nun nicht mehr von ihrem Daimyō, sondern vom Staat. Doch der zahlte ihnen nur noch ein Drittel der bisherigen Bezüge. Dann wurden diese in eine Einmalzahlung des kapitalisierten Gegenwerts umgewandelt und sie erhielten Staatsanleihen anstelle von Jahresbezügen. Dies zwang sie dazu, ihre bisherige Lebensweise als Rentier aufzugeben. Sie mussten Lohnarbeit annehmen oder es als Landwirt oder Kleinunternehmer versuchen. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht machte sie auch als Krieger überflüssig. Ihre Kleidung, ihre Lebensweise, all dies schien nun völlig anachronistisch zu sein. Die westliche Kleidung und Lebensart setzten sich immer mehr durch. Während der Satsuma-Rebellion 1876/77 flammte noch einmal ihr alter Kampfgeist auf. Doch die Samurai wurden von einer Bauernarmee mit modernen Waffen vernichtend geschlagen. Damit war auch die Gefahr einer konterrevolutionären Revolte für immer gebannt.

Samurai

Industrialisierung

Die nun anlaufende Industrialisierung benötigte vor allem Kapital und dies konnte man in den ersten Jahren nur durch Besteuerung der Landwirtschaft aufbringen. Die Gelder, die man dort abschöpfte, landeten beim Staat und füllten bald die Taschen der Hofkamarilla. Das waren die Daimyo, die sich mit dem Kaiser verbündet hatten und einige Kaufleute aus der Zeit des Bakufu. Diese Finanzoligarchie gründete die berühmten Zaibatsu (財閥 = Geldclan). Das waren riesige Mischkonzerne, die bald das Wirtschaftsleben in ganz Japan kontrollierten und 1945 von den Amerikanern aufgelöst wurden.
In den Jahren nach der Restauration holten sich die Japaner zahlreiche Techniker und Wissenschaftler ins Land, um von ihnen zu lernen. Sie importierten Maschinen, bauten sie nach und verbesserten sie anschliessend. Überhaupt kopierten sie zunächst viele Erfindungen aus dem Ausland, um sie danach weiter zu entwickeln. Es entstanden Fabriken zur Textilverarbeitung, Eisenbahnen, Maschinenbau und vor allem auch eine grosse Waffenfabrikation. Denn eine Losung des neuen Japans lautete: "Ein reiches Land durch eine starke Armee". Die meisten Betriebe waren staatlich, allerdings vermischt mit Privatkapital. Da der Staat der Geburtshelfer der modernen Gesellschaft war, spielte er auch im wirtschaftlichen Bereich eine viel grössere Rolle als im westlichen Ausland. Die enge Verknüpfung zwischen Staatsbürokratie und Privatwirtschaft wurde zum Markenzeichen der Meiji-Ära und auch noch darüber hinaus. Die Meiji-Restauration hat Japan durchgreifend modernisiert, in eine der führenden Industrienationen umgewandelt und der Bevölkerung zu einem hohen Lebensstandard verholfen.

industry

Kritiker indes wenden ein, dass es sich hier um eine Revolution von oben gehandelt hat. Dass sich die alten Machteliten neu aufstellen konnten, dass die bürgerlichen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung keinen Eingang in die japanische Gesellschaft fanden. Das Land blieb ein Obrigkeitsstaat. Die Prinzipien der Samurai, die bedingungslose Loyalität gegenüber dem Vorgesetzen, wurden nicht hinterfragt, sondern wurden sogar zu einem konstituierenden Element in der neuen Gesellschaft. Die Zaibatsu unterbanden den freien Wettbewerb und haben Japan in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt. Der göttliche Status des Kaisers blieb erhalten und verhinderte die Entwicklung demokratischer Strukturen.
Diese autoritäre Gesellschaft löste in Asien einen blutigen Krieg aus und hat erst danach den Weg hin zu einer modernen Zivilgesellschaft eingeschlagen.

Link zum Originalartikel: Meiji-Restauration, Karl-Heinz Winkler 2012


Die Legende von der Prinzessin Kaguya

Szenen aus dem Film かぐや姫の物語 Kaguyahime no monogatari 2013

Ein armer Bambusschneider findet eines Tages einen leuchtenden Bambus. Darin entdeckt er eine winzige Frau, die zu einem Baby wird, als er sie mit nach Hause nimmt. Gemeinsam mit seiner Frau zieht er das schnell wachsende Kind auf, das sie Takenoko ("Bambuskind") nennen.
Die Kleine erfreut sich ihres einfachen Lebens. Doch ihr Ziehvater findet bald Gold und Wertgegenstände in anderen Bambusstauden. Daher zieht er mit Takenoko und seiner Frau in die Stadt in einen prächtigen neuen Palast. Ihre Tochter, die nun Kaguya genannt wird, soll wie eine Adelige aufwachsen. Schliesslich kommt heraus, dass sie vom Mond stammt. Dorthin muss Kaguya nun wieder zurück. Ein Zug von Mondwesen, angeführt von Buddha, holt sie von der Erde ab und nimmt sie mit.

Die Geschichte des Bambusschneiders (竹取物語 Taketori Monogatari) ist eine japanische Legende aus dem 10. Jahrhundert. Sie gilt als die älteste erhaltene japanische Prosa-Erzählung - auch bekannt als "Die Legende von der Prinzessin Kaguya".
Die japanische Mondsonde KAGUYA (2007/2009) wurde nach der Hauptfigur dieser Erzählung benannt.